Annas Weblog


Geteiltes Leid ist halbes Leid
August 25, 2008, 11:58 am
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Aber ein geteilter Bildschirm ist kein halber Bildschirm … . Wie die Privatsphäre in der Deutschen Bahn durch einen Sitznachbarn verlustig gehen kann und welche Auswirkungen die Neugier des anderen auf die eigene Konzentrationsfähigkeit, Rechtschreibung und Kreativität hat:

Weil ich ein ordentliches Paket an Wochenendarbeit und zeitgleich einen Kurzurlaub in der Heimat geplant hatte und weil ich des öfteren Anzugträger in den Abteilen der Deutschen Bahn beobachte, die regelmäßig auf ihren Notebooks mit Zahlen jonglieren, dachte ich “Das probierste jetzt auch mal aus.” An die Stelle der üblichen Bahnlektüre rückte also mein Laptop. Ich wollte dieses Mal nicht mehr konsumieren sondern selbst die Arbeitsatmosphäre nutzen, die sogar an den Wochenenden in deutschen Zugabteilen herrscht und meinen Artikel für das Kulturressort schreiben. Voraussichtlich 12 Stunden Fahrzeit. 6 hin. 6 zurück. “Na, aber locker doch.”

Ich steige also am Freitag in meinen IC und bin schon beim ersten Blick in das Großraumabteil glücklich einen Sitzplatz reserviert zu haben. An meinem neuen, mobilen Arbeitsplatz sitzen auch drei Fastabiturienten mit ihren Notebooks auf dem Weg zur Games Convention –  das Anliegen von ca. 2/3 aller Reisenden im IC Allgäu.

Ich klappe meinen Rechner auf und merke, dass 4 Laptops niemals auf diesen winzigen Tisch passen. Meine drei Tischnachbarn sietzen mich mittlerweile und räumen mir Platz ein. Eine der wenigen Situationen, indenen sich mein “Alter” mal auszahlt.

Egal, ich grabe in meinen Unterlagen, verteile diese auf meinem Schoß und beginne mit dem Teil des Artikels, den ich schon im Kopf habe. Als ich dann von meinem Nachbarn gefragt werde, wo denn diese Stadt sei über die ich schreibe, beginnt eine längere Diskussion. Schließlich entschuldige ich mich, klinke mich aus und versuche mich auf meinen Bildschirm zu konzentrieren. Dort stehen immer noch die 12 Zeilen Artikelende. Es vergehen 10 Minuten, 20 Minuten, 25 Minuten. Meine Kreativität muss irgendwo in Bielefeld verloren gegangen sein. Ich entscheide mich Stichpunkte aufzuschreiben. Manchmal klappt das und man kann daraus Sätze formulieren. Aber meine Rechtschreibung ist offensichtlich in Minden ausgestiegen. Bis nach Leipzig schaffe ich noch 5 Worte: die Überschrift. Und das war’s.

Für die Rückfahrt nehme ich mir vor mich nicht ansprechen zu lassen. Schon in Leipzig habe ich einen 120 kg schweren, Schweißperlen mit dem Taschentuch von der Stirn abtupfenden und schwer atmenden Mann neben mir, der selbstverständlich beide Armlehnen einnimmt. Er findet meinen Artikel genauso interessant wie der Fastabiturient von der Hinfahrt und starrt unverblümt auf meinen Bildschirm. Schreibe ich zwei Worte, liest er sie. Lösche ich sie, wiegt er seinen Kopf hin und her. So geht das Spiel bis Hannover. Er steigt um. Ich atme kurz auf.

2 Minuten später kommt ein Dichtungsanlageningenieur mit goldenem D&G Glitzershirt hinzu. Er liest seine Betriebsanleitung für Dichtungsringe an Windkraftanlagen. Ich konzentriere mich. Sobald meine Finger auf der Tastatur klickern, schaut er auf meinen Bildschirm. So geht das nicht. Ich klappe den PC zu, nehme mir ein Buch und konsumiere. Entweder ist ein kreativer Text etwas anderes als eine Exceltabelle oder ich muss mich einfach daran gewöhnen, dass unbekannte Menschen am Entstehungsprozess meiner Arbeit teilnehmen.

Fakt ist: ich kann so nicht arbeiten!