Annas Weblog


Zwischen Präventionsarbeit und Bildungsauftrag der Öffentlich-Rechtlichen

DPA, 26.08.2008:

Charlotte Roche probiert für 3sat Berufe aus

“TV-Moderatorin und Besteller-Autorin Charlotte Roche (“Feuchtgebiete”) ist jetzt für den Fernsehsender 3sat aktiv. Vom 1. Oktober an wird die 30-Jährige wöchentlich montags um 23.10 oder um 23.15 Uhr die fünfteilige Reihe “Charlotte Roche unter…” präsentieren.

Darin arbeitet Roche in jeder Folge in einem anderen Beruf: bei einem Bestattungsunternehmen, als Müllwerkerin, als Jägerin […] .

Moment mal. Bestattungsunternehmen? Müllabfuhr? Tiere töten? Genau in dieser Reihenfolge? Haben wir uns das denn auch genau überlegt? Nachdem Harald Schmidt mit Lady Bitch Ray den Wortschatz des ersten Deutschen Fernsehens um viele wertvolle Ausdrücke erweitert – und seien wir doch mal ehrlich: aufpoliert – hat, lassen sich die Dritten nicht lumpen und ziehen mit Charlotte Roche nach. Zur Sendezeit der kuscheligsten Bettdecke darf Charlotte, die wir ja alle lieben und deshalb duzen, Randgruppenberufe ausüben und uns darüber erzählen wie das so ist wenn man eben mal arbeitet, also das tut, was wir – als Generation Praktikum – offensichtlich nicht tun. Für diejenigen, die sich bereits mit dem Gedanken angefreundet haben im achtzehnten Semester “irgendwas-mit-Medien” auf ihrer akademischen Laufbahn zu scheitern, kann das Konzept “Ausbildungsberuf” durchaus relevant sein. Außerdem mögen wir Charlotte und wir trauen ihr weil wir sie schon von früher (=VIVA) kennen.

3sat möchte quasi unsere Nussschale vergrößern, unseren nicht vorhandenen Horizont erweitern und ja, tatsächlich soetwas wie eine Perspektive schaffen. Im entferntsten Sinne geht es also um Prävention. Es soll verhindert werden, dass wir tagein-tagaus nichts anderes tun, als die Medien zu konsumieren und sie meinungs- und haltungslos hinzunehmen. Der Auftrag könnte nicht klarer sein: Charlotte, bring das faule Pack weg von der Mattscheibe und hin zu einem produktiven Beitrag für unser wunderbares System.

Damit ist Charlotte natürlich nicht allein auf weiter Flur. Das Erste hat Harald Schmidt und Oliver Pocher, die am Grundvokabular feilen und damit für die Kommunikation und Pressearbeit im Auftrag “Arbeitskraftmobilisierung” zuständig sind. Daneben dümpelt das im Politressort angedockte, leckgeschlagene Schlachtschiff “Anne Will” mit zerrissener Takelage im ARD Hafen der Bildungs- slash Unterhaltungsprogramme. Da Frau Will (nein, sie duzen wir nicht) eher für Konsequenzen als für Prävention ist und es aus dem Wald bekanntlich herausschallt, wie man hinein ruft, quittierte kürzlich ihr Fanclub seinen Dienst; freilich kein Untergang … und ein anderes Thema. Neben Frau Will gab neulich auch Sarah Kuttner ihr Debut im Bildungsauftrag der Öffentlich-Rechtlichen. Sarah, die wir ebenfalls von früher kennen und deshalb duzen, bringt uns bei wie man Kleinanzeigen liest … und dass man überhaupt erst einmal Kleinanzeigen lesen sollte weil es dort von Arbeitsangeboten wimmelt, für die man keine Ausbildung braucht. Weg von der Mattscheibe … .

Das ZDF dagegen widmet sich nun gänzlich der Zielgruppe 65plus und somit der Unterhaltung der deutschen Bundesbürger in ihren letzten Lebensjahrzehnten. Würden diese Gebührenzahler nach einem aufregenden Bingoabend den Fernseher der Seniorenresidenz einschalten und im Dritten hängen bleiben, könnten sie eventuell eine sympathische, junge Frau mit Zahnlücke vor einem Krematorium entdecken, die nicht nur anschaulich das Berufsbild des Bestatters erklärt sondern auch die Funktionsweise eines Hochofens.

Insofern ist ja doch für jeden etwas dabei.